Warum Videospiele politisch sein sollten

Die Anzahl von Videospielenden liegt weltweit bei mehr als einer Milliarde Menschen. Games sind eine Kunstform, die etliche Menschen erreicht, unterhält, bewegt und zum Denken anregt. Ich bin der Meinung: Videospiele sollten deutlicher Stellung beziehen.

Wie ein Kinderspiel diskriminierend wurde

Tomodachi Life ist auf den ersten Blick ein sehr harmloses Spiel. In der ulkigen Lebenssimulation, die 2013 für Nintendos 3DS erschienen ist, zieht der Spielende auf eine Insel, interagiert mit anderen Figuren und macht in kleinen Minispielen Musik, fährt Achterbahn oder führt Tänze auf. Präsentiert wird alles knallbunt, drollig und niedlich. Die Hauptzielgruppe: Offensichtlich vor allem sehr junge Spieler*innen.

Und doch musste sich Entwickler und Publisher Nintendo einer Kontroverse stellen. In Tomodachi Life kann sich die eigene Spielfigur verlieben und sogar heiraten – allerdings nur Charaktere, die dem anderen Geschlecht angehören. Es dauerte nicht lange und unter dem Schlagwort #Miiquality entstand eine Online-Kampagne, die sich für Gleichheit für Miis, die Spielfiguren in Tomodachi Life, einsetzte. Die Forderungen der Bewegung: Nintendo solle auch homosexuelle Partnerschaften in das Spiel integieren.

Nintendo begründete die Entscheidung damit, dass Tomodachi Life nie ein gesellschaftliches Statement sein sollte. Stattdessen handele es sich um eine fiktive Welt, die in ihrer Simulation nicht das echte Leben darzustellen versuche. Nach weiterer Kritik ruderte Nintendo schließlich zurück, entschuldigte sich und versicherte, man würde im Falle einer möglichen Fortsetzung versuchen, das Spiel offener zu gestalten.

Ein möglicher Grund, warum sich Nintendo bei dieser Entscheidung schwertat: In Japan, der Heimat des Unternehmens, sind homosexuelle Partnerschaften nach wie vor weit davon entfernt, mit heterogeschlechtlichen Partnerschaften gleichgestellt zu werden. Nur wenige Kommunen erkennen gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften an – der Großteil Japans bleibt konservativ.

Kunst schafft Bewegung

Doch Kunst dient schon seit Urzeiten als Spiegel der Gesellschaft, erzielt Aufmerksamkeit und sorgt für Diskurse. Ob George Orwells weltberühmter Roman 1984 oder die dystopische Science-Fiction-Serie Black Mirror: Deutliche Gesellschaftskritik zieht sich durch alle Kunstformen. Hiphop-Musiker Macklemore und Produzent Ryan Lewis veröffentlichten ihren Song „Same Love“ 2012 während der Kampagne zum Referendum 74 in Washington, welches letztlich zur Legalisierung der Homo-Ehe im US-Bundesstaat führte. Der Song wurde kurzerhand zur vereinenden Hymne für die Gleichberechtigung von Homosexuellen.

Kunst wirkt – und doch schrecken viele Videospielentwickler nach wie vor davor zurück, deutliche Zeichen zu setzen oder sich zu politischen Statements zu bekennen. Ubisoft hat vergangenen März mit The Division 2 ein millionenfach verkauftes Spiel veröffentlicht. Es geht um Terrorismus, Regierungskonflikte, Bürgerkriege – im fiktiven USA der Zukunft. Auch wenn Anspielungen auf aktuelle Strömungen deutlich sind – Ubisoft distanziert sich von politischen Haltungen. Als nächster Top-Titel steht für Ubisoft das Open World-Abenteuer Watch Dogs 3 auf dem Plan, das in einer Art Post-Brexit-London spielt. Gerade in Anbetracht der Reichweite von Ubisofts Videospielen würde ich mir wünschen, das sie in ihnen deutlicher Stellung beziehen.

Keine Geschlechter in Cyberpunk 2077

Das dystopische Rollenspiel Cyberpunk 2077 verspricht ein großer finanzieller Erfolg zu werden. Das letzte Spiel des polnischen Entwicklers CD Project Red – The Witcher 3: Wild Hunt – ergatterte mehrere hundert Auszeichnungen und wurde inzwischen mehr als 20 Millionen mal verkauft. Das schraubt die Erwartungen an Cyberpunk 2077 hoch: Fans freuen sich über jeden Infohappen zum Spiel, stellen Theorien auf und warten sehnlichst auf die Veröffentlichung des Spiels im kommenden April.

Ende August sorgte jedoch eine etwas andere Meldung für Gesprächsstoff und ist fünf Jahre später ein deutlicher Kontrast zur eingangs erwähnten Debatte rund um Tomodachi Life. In einem Interview mit der britischen Zeitschrift Metro verriet Marthe Jonkers, Lead Artist von CD Projekt Red, dass es bei der Charaktererstellung von Cyberpunk 2077 keine Geschlechterwahl geben soll.

Dass man sich zu Beginn eines Videospiels die eigene Spielfigur selbst erstellt – also Geschlecht, Haarfarbe, Figur, Kleidung frei wählt – ist besonders bei Rollenspielen weit verbreitet. In Cyberpunk 2077 soll nun aber ausgerechnet die Wahl des Geschlechts, die meist am Anfang des Editors steht, ausbleiben. Stattdessen wählt man lediglich einen Körpertypen und auch die Wahl der Stimme erfolgt nicht gebunden an das Geschlecht der Hauptfigur. Damit wolle man laut Jonkers ein inklusives Spielerlebnis fördern und Spieler*innen die Möglichkeit geben, ihren Charakter ganz nach den eigenen Wünschen zu gestalten. Zusätzlich soll dieser Ansatz auch durch eine große Anzahl an Hauttönen, Tattoos und Frisuren unterstützt werden.

Nicht nur in der Videospielindustrie, sondern auch besonders in Hinblick auf die polnische Herkunft des Entwicklerstudios ist diese Haltung ausgesprochen progressiv. In einem Land, in dem sich die Regierungspartei PiS für LGBT-freie Zonen einsetzt und der Regierungschef Homosexuelle als „Bedrohung“ für das Land sieht, setzt CD Projekt Red ein bedeutsames Zeichen – und kann damit zum Vorbild für alle Entwicklerstudios werden.


Gaming spielt eine wichtige Rolle – auch für den Rest unserer Gesellschaft. Die Industrie steckt voller Probleme, bietet aber auch zahlreiche Chancen. Female Faces – ein Fazit.

Hinterlasse einen Kommentar