Archiv der Kategorie: Frauen & Gaming

Female Faces – ein Fazit

Das ist das Ende dieser Artikelreihe. Was bleibt: Eine riesige Unterhaltungsindustrie, komplexe Problemfelder und ein Blick auf die Gesamtheit unserer Gesellschaft. Ein Fazit.

Gaming hat ein Sexismus-Problem. Das zeigt sich bei Spielerinnen, die online beleidigt, belästigt und diskriminiert werden. Das zeigt sich in der männerdominierten Entwicklerszene und in den weiblichen Spielfiguren, die sie kreiert. Das zeigt sich in unserer Gesellschaft, in der Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen, auf täglicher Basis mit sexistischen Kommentaren konfrontiert werden. Und es zeigt sich zu guter Letzt in den Köpfen aller, die nach wie vor denken, Gaming sei nur ein Hobby für Männer.

Gaming als Spiegel der Gesellschaft

Wichtig ist: Das ist kein Phänomen, das nur im Gaming vorkommt. Viel mehr ist die Videospielindustrie ein beispielhaftes Abbild für eine Gesellschaft, in der das weibliche Geschlecht an zahlreichen Ecken benachteiligt wird. Doch nur eine differenzierte Betrachtung hilft, den Ursachen auf den Grund zu gehen: Zwar sind beinahe 50 Prozent aller Gamer*innen weiblich, doch vielleicht identifizieren sie sich weniger als solche. Denn Smartphone-Apps und Casual-Games zählen genauso zu Videospielen, wie epochale Rollenspiele oder kompetitive Multiplayer-Shooter. Und in vielen Spielen werden weibliche Charaktere als schwaches Geschlecht dargestellt – eine Folge von Strukturen, die Frauen in den Herkunftsländern eben dieser Spiele immer noch stark benachteiligen.

Mindestens genauso wichtig ist: Es tut sich was. Förderungen für mehr Frauen in MINT-Studiengängen und millionenschwere Videospielproduktionen mit weiblichen, nicht übersexualisierten Heldinnen. Medienwirksame Diskurse rund um #Gamerleaks und Videospiele, deren Entwicklung symbolträchtig von Frauen geleitet werden. Und eine steigende Aufmerksamkeit für die Thematik, die zeigt, dass die Relevanz von Gaming in unserer Gesellschaft zunehmend erkannt wird.

Doch genau wie das Problem ist auch die Lösung interdisziplinär. Denn Gaming verbindet Politik und Wirtschaft, Hobby und Beruf, Kultur und Freizeit, Spaß, Trauer, Spannung und Bildung. Gaming ist ein Resultat unseres Frauenbildes und festigt es zugleich selbst. Gaming ist ein wichtiger Abschnitt auf dem langen Weg zu wahrer Chancengleichheit. Und der erste Schritt auf diesem Weg ist in meinen Augen: Aufklärung.

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Warum ich das mache? Hier gibt’s Infos über das Projekt Female Faces.

Warum Videospiele politisch sein sollten

Die Anzahl von Videospielenden liegt weltweit bei mehr als einer Milliarde Menschen. Games sind eine Kunstform, die etliche Menschen erreicht, unterhält, bewegt und zum Denken anregt. Ich bin der Meinung: Videospiele sollten deutlicher Stellung beziehen.

Wie ein Kinderspiel diskriminierend wurde

Tomodachi Life ist auf den ersten Blick ein sehr harmloses Spiel. In der ulkigen Lebenssimulation, die 2013 für Nintendos 3DS erschienen ist, zieht der Spielende auf eine Insel, interagiert mit anderen Figuren und macht in kleinen Minispielen Musik, fährt Achterbahn oder führt Tänze auf. Präsentiert wird alles knallbunt, drollig und niedlich. Die Hauptzielgruppe: Offensichtlich vor allem sehr junge Spieler*innen.

Und doch musste sich Entwickler und Publisher Nintendo einer Kontroverse stellen. In Tomodachi Life kann sich die eigene Spielfigur verlieben und sogar heiraten – allerdings nur Charaktere, die dem anderen Geschlecht angehören. Es dauerte nicht lange und unter dem Schlagwort #Miiquality entstand eine Online-Kampagne, die sich für Gleichheit für Miis, die Spielfiguren in Tomodachi Life, einsetzte. Die Forderungen der Bewegung: Nintendo solle auch homosexuelle Partnerschaften in das Spiel integieren.

Nintendo begründete die Entscheidung damit, dass Tomodachi Life nie ein gesellschaftliches Statement sein sollte. Stattdessen handele es sich um eine fiktive Welt, die in ihrer Simulation nicht das echte Leben darzustellen versuche. Nach weiterer Kritik ruderte Nintendo schließlich zurück, entschuldigte sich und versicherte, man würde im Falle einer möglichen Fortsetzung versuchen, das Spiel offener zu gestalten.

Ein möglicher Grund, warum sich Nintendo bei dieser Entscheidung schwertat: In Japan, der Heimat des Unternehmens, sind homosexuelle Partnerschaften nach wie vor weit davon entfernt, mit heterogeschlechtlichen Partnerschaften gleichgestellt zu werden. Nur wenige Kommunen erkennen gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften an – der Großteil Japans bleibt konservativ.

Kunst schafft Bewegung

Doch Kunst dient schon seit Urzeiten als Spiegel der Gesellschaft, erzielt Aufmerksamkeit und sorgt für Diskurse. Ob George Orwells weltberühmter Roman 1984 oder die dystopische Science-Fiction-Serie Black Mirror: Deutliche Gesellschaftskritik zieht sich durch alle Kunstformen. Hiphop-Musiker Macklemore und Produzent Ryan Lewis veröffentlichten ihren Song „Same Love“ 2012 während der Kampagne zum Referendum 74 in Washington, welches letztlich zur Legalisierung der Homo-Ehe im US-Bundesstaat führte. Der Song wurde kurzerhand zur vereinenden Hymne für die Gleichberechtigung von Homosexuellen.

Kunst wirkt – und doch schrecken viele Videospielentwickler nach wie vor davor zurück, deutliche Zeichen zu setzen oder sich zu politischen Statements zu bekennen. Ubisoft hat vergangenen März mit The Division 2 ein millionenfach verkauftes Spiel veröffentlicht. Es geht um Terrorismus, Regierungskonflikte, Bürgerkriege – im fiktiven USA der Zukunft. Auch wenn Anspielungen auf aktuelle Strömungen deutlich sind – Ubisoft distanziert sich von politischen Haltungen. Als nächster Top-Titel steht für Ubisoft das Open World-Abenteuer Watch Dogs 3 auf dem Plan, das in einer Art Post-Brexit-London spielt. Gerade in Anbetracht der Reichweite von Ubisofts Videospielen würde ich mir wünschen, das sie in ihnen deutlicher Stellung beziehen.

Keine Geschlechter in Cyberpunk 2077

Das dystopische Rollenspiel Cyberpunk 2077 verspricht ein großer finanzieller Erfolg zu werden. Das letzte Spiel des polnischen Entwicklers CD Project Red – The Witcher 3: Wild Hunt – ergatterte mehrere hundert Auszeichnungen und wurde inzwischen mehr als 20 Millionen mal verkauft. Das schraubt die Erwartungen an Cyberpunk 2077 hoch: Fans freuen sich über jeden Infohappen zum Spiel, stellen Theorien auf und warten sehnlichst auf die Veröffentlichung des Spiels im kommenden April.

Ende August sorgte jedoch eine etwas andere Meldung für Gesprächsstoff und ist fünf Jahre später ein deutlicher Kontrast zur eingangs erwähnten Debatte rund um Tomodachi Life. In einem Interview mit der britischen Zeitschrift Metro verriet Marthe Jonkers, Lead Artist von CD Projekt Red, dass es bei der Charaktererstellung von Cyberpunk 2077 keine Geschlechterwahl geben soll.

Dass man sich zu Beginn eines Videospiels die eigene Spielfigur selbst erstellt – also Geschlecht, Haarfarbe, Figur, Kleidung frei wählt – ist besonders bei Rollenspielen weit verbreitet. In Cyberpunk 2077 soll nun aber ausgerechnet die Wahl des Geschlechts, die meist am Anfang des Editors steht, ausbleiben. Stattdessen wählt man lediglich einen Körpertypen und auch die Wahl der Stimme erfolgt nicht gebunden an das Geschlecht der Hauptfigur. Damit wolle man laut Jonkers ein inklusives Spielerlebnis fördern und Spieler*innen die Möglichkeit geben, ihren Charakter ganz nach den eigenen Wünschen zu gestalten. Zusätzlich soll dieser Ansatz auch durch eine große Anzahl an Hauttönen, Tattoos und Frisuren unterstützt werden.

Nicht nur in der Videospielindustrie, sondern auch besonders in Hinblick auf die polnische Herkunft des Entwicklerstudios ist diese Haltung ausgesprochen progressiv. In einem Land, in dem sich die Regierungspartei PiS für LGBT-freie Zonen einsetzt und der Regierungschef Homosexuelle als „Bedrohung“ für das Land sieht, setzt CD Projekt Red ein bedeutsames Zeichen – und kann damit zum Vorbild für alle Entwicklerstudios werden.


Gaming spielt eine wichtige Rolle – auch für den Rest unserer Gesellschaft. Die Industrie steckt voller Probleme, bietet aber auch zahlreiche Chancen. Female Faces – ein Fazit.

Entwicklerinnen: Eine benachteiligte Minderheit

Frauen werden am Arbeitsplatz benachteiligt. Unternehmen bevorzugen Männer bei gleicher Qualifikation, Frauen werden schlechter bezahlt oder sogar sexuell belästigt. Ein Problem, das auch in der Entwicklung von Videospielen nicht ausbleibt.

Männerberuf Videospielentwickler

In Deutschland zeichnet sich bei der Geschlechterverteilung nach Berufsgruppen ein deutliches Bild ab. Eine Statistik der Bundesagentur für Arbeit stellte 2017 dar, dass Frauen nach wie vor primär in Erziehungs- und medizinischen Gesundheitsberufen tätig sind. Metallerzeugung, Mechatronik, IT – alles weiterhin Branchen, die klar männerdominiert sind und einen Frauenanteil von teilweise deutlich unter 20 Prozent haben. Auch die Videospielentwicklung ist ein Berufsfeld, in dem vor allem Männer beschäftigt sind. Laut der International Game Developers Association machte der weltweite Anteil weiblicher Entwickler 2017 nur 21 Prozent aus.

Doch nicht nur die Quote ist entscheidend, denn auch die Bezahlung weist messbare Unterschiede zwischen den Geschlechtern auf. Stichwort „Gender Pay Gap“: Der geschlechterspezifische Lohnunterschied ist ein Phänomen, das nicht nur in der Videospielentwicklung, sondern in sämtlichen Berufsfeldern auftritt. Im europäischen Ländervergleich schnitt Deutschland 2016 sogar besonders schlecht ab: Hierzulande betrug der Unterschied in den Stundenlöhnen 21,5 Prozent – nur die Tschechische Republik und Estland wiesen noch größere Ungleichheiten auf.

In Großbrinannien sind die Lohnunterschiede in der Videospielentwicklung sogar höher als die durchschnittliche Gender Pay Gap des Landes. Auch Bonuszahlungen erhielten weibliche Mitarbeiter seltener als ihre männlichen Kollegen. Zwischen den befragten britischen Entwicklerstudios gab es dabei deutliche Unterschiede. Rockstar Games North, die an der Entwicklung von Grand Theft Auto V, einem der erfolgreichsten Videospiele der letzten Jahre, beteiligt waren, stachen mit einer durchschnittlichen Gender Pay Gap von 34,4 Prozent besonders hervor.

Belästigung auf der Arbeit

Besonders in männerdominierten Berufen werden regelmäßig Stimmen über Diffamierung und Sexismus am Arbeitsplatz laut. Auch in der Videospielindustrie gelangten innerhalb der letzten zwei Jahren mehrere Vorwürfe über sexistische Arbeitsbedingungen an die Öffentlichkeit. Ex-Mitarbeiter*innen kritisieren das französische Entwicklerstudio Quantic Dream für eine rassistische und sexistische Arbeitskultur und auch League of Legends-Entwickler Riot Games musste sich jüngst Sexismusvorwürfen stellen. Keine Einzelfälle: Branchenübergreifend hatte jede vierte berufstätige Frau laut eigenen Angaben bereits einmal mit sexueller Diskriminierung am Arbeitsplatz zu tun.

Für mehr Entwicklerinnen

Um der Benachteiligung von Frauen entgegenzuwirken, machen sich auch einige Videospielentwickler und Publisher für mehr Geschlechtergerechtigkeit stark. Ein Beispiel: Andrew Wilson, CEO von Electronic Arts (FIFA, Battlefield, Die Sims), setzt sich seit zwei Jahren als Teil der UN Women-Solidaritätskampagne HeForShe ein. Damit möchten er und Electronic Arts die Gleichberechtigung der Geschlechter fördern – in der eigenen Unternehmenskultur und darüber hinaus. Auch von staatlicher Seite existieren diverse Initiativen, die sich für mehr Frauen in der Videospielentwicklung oder anderen MINT-Berufen einsetzen. Darunter bundesweite Förderungen zur Steigerung der Frauenquote, Stipendien und Programme, die Mädchen schon früh auch für „typische Männerberufe“ begeistern sollen.


Entwickler*innen kreieren Spiele, die mitunter ein Millionenpublikum erreichen. So werden Videospiele als Kunstform zum Sprachrohr einer ganzen Industrie. Warum Videospiele politisch sein sollten.

Wie Frauen in Videospielen präsentiert werden

Frauen werden nicht nur außerhalb, sondern auch in Videospielen benachteiligt. Sexismus gegenüber computermodellierten Personen – kann es so etwas überhaupt geben? Videospielheld*innen sind Teil der Gaming-Kultur, mit Auswirkungen auf gesellschaftliche Geschlechterrollen.

Heldinnen braucht das Land

Wirft man einen Blick auf die zehn meistverkauften PC- und Konsolen-Spiele des letzten Jahres, fällt schnell auf: Die Hauptfiguren sind überwiegend männlich. In Mario Kart 8 Deluxe, Call of Duty: Black Ops 4 und Super Mario Party können Spieler Charaktere mit verschiedenen Geschlechtern wählen. Die Fußballsimulation Fifa 19 fällt auch raus – schon seit Fifa 16 bietet Entwickler Electronic Arts die Möglichkeit, Partien mit Frauenfußballmannschaften auszutragen.

Bleiben noch sechs Titel, die keine Geschlechterwahl haben – allesamt storybasierte Videospiele, die den Spieler in die Rolle eines männlichen Protagonisten versetzen. Es ist natürlich kein Verbrechen, die Hauptfigur männlich zu besetzen, doch in der Gesamtheit zeichnet sich so ein ähnliches Bild ab, wie in der amerikanischen Filmindustrie. In Hollywood kann zwar ein deutlicher Anstieg weiblicher Hauptrollen festgestellt werden, doch auch hier überwiegen nach wie vor die Männer, die zudem im Durchschnitt deutlich mehr verdienen als ihre Kolleginnen.

Frauen bleiben klassisch

Geringere Bezahlungen müssen Videospielcharaktere nicht fürchten. Dennoch kann auch diese Verteilung Auswirkungen auf tatsächliche Jobs in der Branche haben, etwa für Synchronsprecher*innen oder Schauspieler*innen, die bei Motion-Capturing-Aufnahmen zum Einsatz kommen. Kritisch sind auch die klassischen Rollenbilder, die häufig durch die Charaktere in Videospielen vermittelt werden. Männliche Figuren werden als stark, dominant und unerschrocken charakterisiert während die Entwickler*innen weiblichen Charakteren eher fürsorgliche und schüchterne Eigenschaften verpassen. Auch keine Seltenheit: Vor allem in Rollenspielen oder Visual Novels aus Japan werden weibliche Charaktere stark sexualisiert. Knappe Röcke, große Brüste und tiefe Ausschnitte präsentieren weibliche Figuren nicht als handlungsrelevante Personen, sondern als Schmuckobjekt.

Natürlich sind solche Darstellungen nicht in jedem Videospiel der Fall. Vor allem in den vergangenen Jahren zeigten große Videospielproduktionen wie Horizon Zero Dawn, Shadow of the Tomb Raider oder Hellblade Senua’s Sacrifice, dass Protagonistinnen nicht in Geschlechterklischees verfallen müssen und die klassche Krieger-rettet-Prinzessin-Handlung längst überholt ist.

Gamer*innen kritisieren Frauenbild

Doch wie sehen Gamer*innen dieses Problem? Eine Umfrage des Digitalverbands Bitkom hat ergeben, dass die Mehrheit deutscher Spieler*innen der Meinung ist, das durch Videospiele vermittelte Frauenbild sei unangemessen. Auffallend stark ist diese Ansicht in der weiblichen Spielergruppe vertreten (82 Prozent), doch auch männliche Gamer teilten die Einstellung.

Im Endeffekt ist bei der Darstellung von Frauen auch immer der Rahmen entscheidend. Videospiele gelten heutzutage auch in Deutschland als Kulturgut – Freiheiten, die für andere Kunstformen wie Film oder Musik gelten, sollten also auch das Gaming betreffen. Nicht nur die Darstellung von Frauen löste schon Debatten aus, auch andere Fragen rund um Diversität in Videospieluniversen sorgten für Diskussionsbedarf.

Historisch oder rassistisch?

Sehr prominent war hier vor einiger Zeit das Beispiel des Mittelalter-Rollenspiels Kingdom Come: Deliverance. In diesem Spiel waren den Entwickler*innen Realismus und Authentizität besonders wichtig. Das sollte nicht nur das Kampfsystem zeigen, sondern auch Handlungen, Umgebungen und Charaktere. Kritisiert wurde bereits vor der Veröffentlichung des Titels, dass im Spiel lediglich weiße Figuren vorkommen. Der leitende Entwickler, Daniel Vavra, wehrte die Rassismusvorwürfe von sich ab und begründete seine Entscheidung damit, dass es im mittelalterlichen Böhmen nun mal keinen bedeutsamen Bevölkerungsanteil an Nichtweißen gegeben hätte. Diverse Historiker*innen hielten dagegen und beteuerten, es habe auch schon in dieser Zeit Immigrant*innen aus anderen Bevölkerungsgruppen gegeben.

Die Debatte wurde letztlich nicht nur geschichtswissenschaftlich anhand des Spiels geführt, sondern leider von weiteren Rassimusvorwürfen gegenüber Vavra überschattet. Was dieser Fall aber zeigt: Da Videospiele als Kunstform gelten, sollten auch Entwickler*innen die Möglichkeit haben haben, Figuren im Rahmen von geschichtlichen Kontexten in alten Rollenbildern zu zeigen. Das gilt – wenn historisch korrekt – für das Auftauchen gewisser Ethnien genauso wie für Geschlechterrollen. In der Praxis betrifft das aber nur einen Bruchteil aller Games. Denn das aktuelle Bild, was viele Videospiele von Frauen vermitteln, ist ein klares Resultat fehlender gesellschaftlicher Gleichstellung – nicht die Bemühung, möglichst historisch akkurat zu sein.


Doch auf der gamescom 2019 wurden auch viele Videospiele mit weiblichen Hauptfiguren präsentiert – einige davon machten dazu auch noch eine Menge Spaß. Meine Videospielheldinnen der gamescom 2019.

Titelbild: Creative Commons von „Bago Games“. Verändert. Lizenz: CC BY 2.0

Frauen in der Öffentlichkeit

Wer in der Öffentlichkeit steht, muss in unserer Gesellschaft mit Neid, Kritik und Hass umgehen können. Ein kurzer Blick auf die Instagram-Profile bekannter Schauspielerinnen oder Sängerinnen genügt, um zu sehen, welchen Kommentaren solche Personen täglich ausgesetzt sind. Ein Problem, was auch vor der Gaming-Branche keinen Halt macht.

Ein riesiges Entertainment-Geschäft – von Männern dominiert

Nicht nur Videospiele unterhalten, sondern auch Leute, die Content mit ihnen oder über sie produzieren. Let’s Plays von Youtube-Größen wie Erik Range („Gronkh“) werden täglich millionenfach angeschaut, der Livestream-Kanal Rocket Beans TV strahlt 24 Stunden am Tag Shows, Gameplays und Talks rund um Gaming und Popkultur aus und talentierte Gamer*innen streamen auf Plattformen wie Twitch und finanzieren damit ihren Unterhalt.

Was auffällig ist: Männer sind auf diesen Gebieten spürbar stärker vertreten als Frauen. Bei einem Blick auf die zehn erfolgreichsten Twitch-Streamer*innen – gemessen an Followern – findet man keine einzige Frau. Auch im E-Sport sind Frauen zahlenmäßig deutlich unterlegen und haben bei Preisgeldern und Sponsoren oft das Nachsehen gegenüber ihren männlichen Kollegen. Es gibt Initiativen, die sich für mehr Frauen im Bereich des E-Sports einsetzen, aktuell ist und bleibt es aber eine deutliche Männerdomäne – vielleicht auch wegen mangelnder weiblicher Vorbilder. Bekannte Streamerinnen berichten zudem über sexistische Kommentare unter ihren Videos und Social Media-Auftritten, während der weltweit bekannteste Streamer 2018 bekannt gab, aus Angst vor Clickbait-Berichterstattung über mögliche Affären nicht mehr mit Frauen zusammen spielen zu wollen.

Frauen lassen einem keine Wahl

Problematisch ist häufig auch die mediale Begleitung der Gaming-Branche: Wenn der Online-Auftritt der Computerbild Streamerinnen nicht nach Reflexen in Videospielen oder dem Unterhaltungsfaktor ihrer Kommentare, sondern einzig nach ihrem Aussehen bewertet, spricht das Bände über das Bild der Gaming-Frau. Und auch wenn sie nicht über Online-Plattformen in der Öffentlichkeit stehen, dürfen natürlich auch die heißesten Messe-Babes der gamescom 2019 nicht fehlen. Eine solche Berichterstattung findet man selbstverständlich nicht überall – viele Gaming- und auch allgemeine Medien fokussieren sich auf Neuheiten, Trends und Ankündigungen.

Aber werden Frauen von den Medien und der Gesellschaft objektifiziert oder sorgen sie selbst dafür? Vielfach gibt es Kritik für die Art, in der sich viele weibliche Streamerinnen präsentieren: Games werden in knappen Outfits und mit tiefen Ausschnitten gezockt, eine teilweise minderjährige Zuschauerschaft mit sexualisiertem Content gelockt. Solche Inhalte bewegen sich oft in einer Grauzone zwischen Freiheit und den Community-Richtlinien von Twitch. Aufgrund der Kritik greift Twitch bei Verstößen inzwischen stärker durch und sperrt sexuelle Inhalte konsequenter, trifft dabei aber auch Streamerinnen, die gar nicht in diese Kategorie fallen. Denn ein kurzes Outfit im Sommer oder ein figurbetontes Cosplay sollten nicht gleich als anzüglicher Content und schon gar nicht als Erlaubnis für sexistische Kommentare gelten.

Absurd ist daher auch der Weg, den Microsofts Streaming-Plattform Mixer gewählt hat: Laut den Kleidungsrichtlinien genügt schon ein wenig nackte Haut und man rutscht als Streamer*in sofort in die Ab-18-Kategorie. Schulter- oder bauchfreie Oberteile? Laut Mixer nicht familienfreundlich. Doch das ist keine Maßnahme, um Minderjährige vor expliziten Inhalten zu schützen, sondern eine rückschrittliche Einschränkung für alle Streamer*innen.


Auch in der Cosplay-Szene dreht sich alles um Kleidung. Gaming- und Popkulturfans investieren tage- und wochenlange Arbeit, um in möglichst akkurate Kostüme ihrer liebsten fiktiven Figuren zu schlüpfen. Für stärkere Heldinnen – Interview mit Cosplayerin Pia D.

Kein Einzelfall: Sexismus im Gaming

Videospiele sollen faszinieren, bewegen, Spaß machen. Doch viele Spielerinnen sehen sich in ihrem Hobby auf täglicher Basis mit sexistischen Kommentaren konfroniert. Von unreflektierten Stammtischparolen bis hin zu sexueller Belästigung: Gaming hat ein Sexismus-Problem.

Ende 2018: Unter den Hashtags #Gamerleaks und #GamerleaksDE berichten etliche Spieler*innen von den diskriminierenden Erfahrungen, die sie im Gaming-Umfeld machen mussten. Ganz ähnlich wie bei #metoo entstand so eine Debatte, die nicht nur einseitig geführt wurde, sondern für zahlreiche Diskussionen und sexistische Relativierungen sorgte. Männer sehen von feministischen Bewegungen wie dieser ihre Meinungsfreiheit bedroht und übersehen dabei das eigentliche Problem der Situation.

Frauen können doch eh nicht zocken

Doch fangen wir ganz vorne an: Hate Speech ist im Gaming allgegenwärtig. Beim Voice-Chat über Dienste wie Teamspeak oder Discord, in Online-Foren, sozialen Netzwerken und in Videospielen selbst stehen rassistische, homophobe und sexistische Kommentare an der Tagesordnung. Hitlergrüße, „schwul“ als Beleidigung, das N-Wort gegenüber dunkelhäutigen Spielfiguren anderer Spieler – wer selbst schon einmal längere Zeit mit Online-Games verbracht hat, weiß, dass solche Vorfälle keine Seltenheit sind.

Auf Twitter erzählen Spielerinnen davon, wie männliche Gamer vorurteilsbehaftet behaupten, Frauen seien in Videospielen generell schlechter und als Team-Kameradinnen in Online-Games nur ein Klotz am Bein. Auch sexistische Kommentare wie „Zurück an den Herd!“ oder „Schick mal paar geile Fotos“ kommen regelmäßig vor. Laut einer Studie der Anti-Defamation League gaben fast drei Viertel der befragten amerikanischen Spieler*innen an, in Online-Games schon einmal in irgendeiner Form belästigt worden zu sein. Die am häufigsten genannte Grundlage dieser Belästigungen war das weibliche Geschlecht, noch vor Diskriminierungen aufgrund von Homo-, Trans- oder Intersexualität, afroamerikanischer Herkunft sowie jüdischer oder muslimischer Religionsangehörigkeit.

Leugnung statt Einsicht: Man wird doch wohl noch sagen dürfen…

Wie so oft wäre es zu einfach, jeder Person für solche Kommentare pauschal eine sexistische Lebensweise vorzuwerfen. Fakt ist aber: Solche Kommentare, egal wie drastisch und vulgär, sind sexistisch. Häufig erkennen die Verursacher*innen aber gar nicht, welche Auswirkungen Kommentare wie diese auf die Betroffenen haben können. Vieles geschieht im Gaming unter dem Deckmantel von schwarzem Humor und Sarkasmus. Aufgrund von Anonymität und der schwierigen Nachverfolgung der Äußerungen bleiben solche Taten ohnehin meist ohne größere Konsequenzen. In der Regel ist die „Höchststrafe“ eine mögliche Sperrung in einem Online-Spiel – die aber häufig mit einfachen Schritten wieder umgangen werden kann.

Doch was für Verursacher*innen nur „böser Humor“ ist, kann ganze Personengruppen verletzen oder sogar traumatisieren. Ein Beispiel aus einem ganz anderen Bereich: Im Grunde gilt im Gaming das gleiche, wie bei der aktuellen Debatte rund um sexistisches Marketing des Smoothie-Herstellers True Fruits: Ja, viele der Sprüche von True Fruits begeisterten die vergangenen Jahre durch einfallsreiche Wortwitze. Ja, auch die aktuell diskutierte Smoothie-Werbung, bei der ein aus Sonnencreme gemalter Penis auf dem Rücken einer Frau für Aufregung sorgt, kann in den Augen vieler ein weiterer Geniestreich von True Fruits sein. Und ja, auch einige Frauen werden das Ausmaß der Empörung nicht nachvollziehen können.

Schwarzer Humor festigt Vorurteile

Und doch sollte die Frage danach, ob etwas diskriminierend ist, noch immer von den Betroffenen selbst eingeordnet werden. True Fruits hält daran fest, ihre Äußerungen seien nicht sexistisch und es sei nicht ihre Intention, Leute zu beleidigen oder zu diskriminieren. Doch auch wenn ich jemandem aus Versehen auf den Fuß trete, dann tut das weh – auch wenn es nicht so gemeint war. Eine Entschuldigung ist in dieser Situation das Mindeste. Und obwohl die Opfer auf jeden Fall erreicht werden – sei es durch die öffentlichen Werbeplakate von Smoothie-Herstellern oder beleidigende Kommentare in Sprach-Chats – sind die Botschafter solcher Äußerungen oft nicht bereit, etwas an ihrem Verhalten zu ändern. Und auch, wenn nur in einer reinen Männerrunde über Frauen hergezogen wird, festigt das Rollenbilder und Assoziationen, die man mit Personen allein wegen ihres Geschlechts hat. Das ist sexistisch.


Das Ergebnis: Auch wenn es fast eine 50:50-Aufteilung zwischen männlichen und weiblichen Gamer*innen gibt, stehen trotzdem primär Männer in der Öffentlichkeit – im E-Sport, auf Youtube oder der Streaming-Plattform Twitch. Der Grund: Beim weiblichen Geschlecht achten Zuschauer auf ganz andere Sachen. Frauen in der Öffentlichkeit.

Gaming ist auch weiblich

Gamer? Die sind doch alle jugendlich, männlich, ungepflegt und nehmen kaum am sozialen Leben teil. Durch die ganzen Killerspiele sind sie natürlich auch gewaltbereit.“ Gaming gilt immer noch als Männersache. Dass auch Frauen Videospiele spielen, ist für viele ein Novum.

Überholte Klischees der Gaming-Welt

Studien der Entertainment Software Association (ESA) zeigen, dass Gaming-Stereotype in vielen Fällen von der Realität kaum weiter entfernt sein könnten. Im amerikanischen Raum zeigte sich dieses Jahr: Mehr als die Hälfte aller Gamer*innen hat einen College-Abschluss, 59 Prozent aller Befragten wollen bei der nächsten Präsidentschaftswahl wählen gehen und zockende Amerikaner*innen tendieren eher dazu, ein kreatives Hobby zu haben als die Durchschnittsamerikaner*innen. Auch im Alterschnitt sind Gamer*innen nicht auf dem Schulhof zwischen Klasse 8 und 10 angesiedelt, sondern im Erwachsenenalter von 30 bis 35 Jahren. Das heißt nicht, dass gewisse Klischees nicht auf bestimmte Spielergruppen zutreffen: Gaming kann zu Übergewicht führen, doch dieser Zusammenhang kann nur in geringem Umfang nachgewiesen werden. Videospielsucht wird von der Weltgesundheitsorganisation inzwischen als Krankheit angesehen – nur weil man stundenlang Videospiele spielt, gilt das aber nicht gleich als Sucht.

Ein weiteres Ergebnis der ESA-Studie: 46 Prozent aller Videospielenden sind weiblich. Zwar gibt es im genauen Konsumverhalten durchaus Unterschiede zwischen den Geschlechtern, der Anteil von Gamerinnen entspricht inzwischen aber tatsächlich beinahe der Hälfte. In der männlichen Zielgruppe sind vor allem First-Person-Shooter wie Call of Duty sowie Sport- und Rennspiele beliebt, während Spielerinnen eher zu Puzzle-Spielen greifen. Dabei sind weibliche Gaming-Fans übrigens kein Phänomen, das nur in den USA vorkommt. In Deutschland stellen sie mehr als 47 Prozent aller Videospieler*innen.

Foto: Tinh Khuong

Wie wir Gamer*innen wahrnehmen

Und doch sind es in der öffentlichen Wahrnehmung überwiegend Männer, die Videospiele spielen. Das liegt unter anderem daran, dass spielende Frauen und weibliche Rollenbilder nicht so präsent sind. Die zehn größten Twitch-Streamer? Alles Männer. Talentierte und erfolgreiche E-Sportlerinnen existieren, doch sie bleiben zahlenmäßig nach wie vor weit hinter ihren männlichen Kollegen zurück. Auch die Besucherzahlen der gamescom geben ein ganz anderes Bild ab als die eingangs erwähnten Statistiken: 2018 waren nur 26 Prozent aller Privatbesucher*innen weiblich.

Doch auch die Definition von „Gamer*innen“ spielt bei der differenzierten Betrachtung der Spielerzahlen eine Rolle. Gaming geht schon lange nicht mehr nur auf Heimkonsolen oder teuren High-End-PCs, sondern ist im Alltag angekommen. Eine kurze Partie Candy Crush während man auf den Bus wartet zählt genauso zu Gaming-Aktivitäten wie hunderte Spielstunden in gigantischen Rollenspielen. Während sich erstere Spielergruppe vermutlich eher gar nicht oder nur als Casual-Spieler*innen bezeichnen würde, definieren sich letztere eher als Hardcore-Gamer*innen – und pflegen so eine gänzlich andere Haltung zu ihrem Hobby.


Hinzu kommt, dass Frauen im Gaming von Phänomenen betroffen sind, mit denen Männer deutlich weniger konfrontiert werden. Diskriminierung, Belästigung und Hass machen Videospiele zum unattraktiven Hobby. Kein Einzelfall: Sexismus im Gaming.